Bevor ich Mutter wurde, habe ich nicht im entferntesten auch nur erahnen können, welchem Hass sich Mütter manchmal ausgesetzt sehen. Und zwar stillende Mütter, die in Cafés oder irgendwo in der Öffentlichkeit ihre Brüste "auspacken", um ihr Kind zu ernähren, die also eigentlich nur das Natürlichste der Welt tun. Oder nicht-stillende, also Flaschen-Mamis, die ihrem Kind eben das, das Natürlichste der Welt, verwehren. Beim Thema Stillen geht es -wie auch bei vielen anderen Themen rund um Schwangerschaft und Baby heiß her unter Mamis. Hier fahren sie ihre Krallen aus, fletchen die nicht selten gebleachten Zähne und werfen sich gegenseitig Spitzen an den Kopf, dass sich der ein oder anderen Neu-Mama die Haare zu Berge stellen.
Und das aller merkwürdigste an diesem ganzen Still-Krieg ist doch eben diese Tatsache, dass ihn nicht Männer oder ältere Menschen austragen, die sich durch Frauenbrüste in der Öffentlichkeit belästigt fühlen, sobald ein Säugling daran hängt oder die ihre vorgefestigte Meinung haben. Sondern, allen voran die Mütter selbst. Wir Frauen! Es sind die einen gegen die anderen, ein immerwährender Kampf. Aber warum?
"Nicht ihr Ernst"
Als ich in unserem Lieblings-Café unseren Sohn stillen will, werden mir die bösen Blicke von der Seite schon zugeworfen, bevor ich mein T-Shirt überhaupt zurecht gerückt habe. Und nein, ich präsentiere beim Stillen nicht jedem meine Brust, denn das möchte ich nicht. Mir ist es unangenehm. Wenn das eine Mama aber machen möchte, dann ist das vollkommen okay. Das Säugen des Babys ist eben die natürlichste Sache der Welt. Es gibt aber für mich genug Möglichkeiten zu stillen, ohne dass auch nur die Winzigkeit eines Nippels hervorblitzt. Dennoch. Die beiden Frauen am Nachbarstisch schauen ungläubig von mir zu Ben und wieder zurück. "Nicht ihr Ernst jetzt", raunt die eine, gedämpft aber doch in einer solchen Lautstärke zu der anderen, dass wir es unweigerlich hören müssen. Daraufhin verdreht die andere die Augen: "Warum können die das nicht einfach zu Hause machen. Kann man doch timen so etwas", und beide drehen sich demonstrativ in die entgegengesetzte Richtung mit Blick aus dem Fenster. Ich werde unsicher, mein Blick schweift durch den gesamten Laden, hin zu den Menschen hinter den kleinen schwarzen Bistrotischchen. In der Ecke, eine Mama, die ihr Baby mit der Flasche füttert. Ich lächele ihr zu. Immerhin sitzen wir beide im gleichen Boot. Aber sie schüttelt verächtlich den Kopf, den Mund gespitzt wie Fräulein Rottenmeier, wenn sie Heidi ansieht oder tadelt. Was war da los? Warum diese verächtlichen Blicke? Über meiner Brust lag ein Mulltuch, es konnte sich also niemand peinlich berührt fühlen und außerdem war es so doch besser, als wenn ich mein Kind wieder abnahm und es das ganze Café mit seinen dreieinhalb Meter hohen Decken zusammenschrie, weil es Hunger hatte. Mein Magen krampft sich zusammen, und es fühlt sich an, als hätte jemand einen Gürtel um meinen Brustkorb geschnürt und würde diesen immer weiter zusammenziehen. Zu allem Übel kommt jetzt natürlich auch, dass mein kleiner Sohn nicht ordentlich trinkt, sondern immer wieder von der Brust ablässt, um wenige Sekunden zu schreien, wieder die Brust zu suchen und weiter zu trinken. Gefühlt schauen mich alle in dem Laden an. Der Kellner, einer der Neuen, kommt mit einem Pappbecher an und stellt ihn wortlos zwischen mein Latte Macchiato Glas und Bennys Espresso-Tasse. Ich gehe davon aus, er will kein Münzgeld sammeln, sondern mir zu verstehen geben, dass ich doch bitte gehen soll. Ich bin eingeschüchtert, hinzu kommt das ganze hormonelle Chaos nach der Geburt, diese war gut drei Wochen her. Ich lasse ihm noch ein paar Schluck, dann nehme ich den Kleinen ab, rücke mein T-Shirt wieder gerade und verlasse mit meinem Sohn und meinem Rucksack auf dem Arm mein ehemaliges Lieblings-Café. Wenige Minuten später stürmt Benny hinterher, vollgepackt mit Wickeltasche, Babysafe und seinem eigenen Rucksack. Er findet mich tränenüberströmt in unserem Auto auf ihn wartend. Das Baby wieder angelegt, damit es endlich zu seinem Essen kommt. Das ist nur eine von vielen kleinen Geschichten, die ich erlebt habe.
Gela
Meine Freundin Gela hat beschlossen nicht zu stillen. Ihr Sohn bekommt das Fläschchen mit PRE-Nahrung. Von Beginn an. Sie leidet am PCO-Syndrom. Bis sie und ihr Mann endlich schwanger wurden, vergingen Jahre, sie versuchte etliche Ernährungsumstellungen, nahm dutzende hormonelle Präparate und bekam letztlich viele Spritzen während zwei Hormontherapien. Am Ende war sie vollkommen ausgelaugt. Ihr Körper war schwach und dann, als die zwei die letzte Spritze setzen, schlug es an. Sie wurden schwanger. Während der Schwangerschaft schon hat Gela beschlossen, ihr Baby nicht stillen zu wollen, sondern ihrem Körper die Kraft zurückzugeben, die er einmal hatte. Stillen kostet Kraft. Sehr viel Kraft. Nicht umsonst fallen bei stillenden Mamis vermehrt Haare aus, brechen Fingernägel ab und wird die Haut oftmals fahl. So wird der kleine Mann von Gela also seit seiner Geburt mit PRE-Milch versorgt und er gedeiht prächtig. Dennoch vergeht keine Woche, in der sie sich nicht anhören muss, welch eine Rabenmutter sie sei, wie egoistisch und unverantwortlich ihr Handeln ist.
Was denn nun?
Stillen ja, unbedingt, aber bitte nur zu Hause in den geschlossenen vier Wänden? Wie? Das Kind braucht öfter als zwei Mal am Tag Nahrung? Dann bleib du als Mutter aber bitte zu Hause und komm nicht auf den Gedanken, das Baby irgendwo in der Öffentlichkeit zu stillen.
Und die Flasche? Die geht sowieso gar nicht. Um es mit den Worten einer anderen Freundin zu sagen, von der ich diese Intoleranz niemals erwartet hätte: "Nicht zu stillen heißt für mich Körperverletzung am eigenen Kind zu begehen. Das sollte bestraft werden." BÄÄÄÄM! Das hat gesessen. Aber eigentlich begibt man sich durch das Stillen ja auch in eine ständige Abhängigkeit und Knechtschaft: "Immerhin bist du dann Knecht deines eigenen Babys. Der Kleine gibt dir ja vor, wann du bereit zu stehen hast, damit er essen kann. Willst du wirklich so fremdbestimmt sein? Ich hätte dich viel emanzipierter eingeschätzt." Ja, auch solchen Blödsinn durfte ich mir anhören. Nicht nur einmal.
Warum können wir nicht einfach akzeptieren, dass jeder seinen eigenen Weg findet? Der Streit zwischen stillenden und nicht-stillenden Mamis geht weit und der Ärger sitzt unglaublich tief. Warum ist das so? Weil wir alle meinen, wir machen es richtig und nur so, wie wir es machen ist es richtig? Ich kann so etwas nicht verstehen aber es beeinflusst mich in meinem Tun und Handeln doch sehr. Wegen meiner entzündeten Brustwarzen habe auch ich überlegt, möglichst schnell wieder abzustillen oder einen Teil seiner Ernährung auf die Flasche umzustellen. Mein Gott, wie viele Wochen hat es gedauert, bis ich mich getraut habe - vor mir selbst - ihm sein erstes Fläschchen zu geben? Gefühlt unendlich lang. Aber es verging kein Tag, an dem ich nicht darüber nachdachte, was ich meinem Kind damit antun würde. Inzwischen ist J. drei Monate alt und bekommt ein bis zwei Fläschchen am Tag und wenn er nicht gerade einen Schub hat und besonders oft hungrig ist, dann kommt er insgesamt acht Mal. Für mich heißt das, ich stille meinen Sohn sechs bis sieben Mal am Tag und in der Nacht. Für mich ist das okay. Für J. auch. Er nimmt weiterhin zu, ist ein guter Esser und Trinker, egal ob bei mir oder an der Flasche. Der Vorteil für mich ist, wenn ich mein Baby stille, kann ich mit ihm kuscheln, ich kann es unterwegs tun, brauche kein Zubehör, und wenn er die Flasche kriegt, bin ich etwas unabhängiger, denn die kann auch mein Mann oder die Oma mal geben.
Mein Appell an alle Jung-Mamis da draußen: Lasst euch nicht unterkriegen. Ihr macht das genau richtig, so wie ihr es macht und wenn ihr euch noch nicht sicher seid, dann werdet ihr euren Weg finden. Dieser Weg muss auch für euch passen, nicht nur für euer Baby. Euer Goldschatz ist glücklich, wenn ihr es seid.
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Joana (Freitag, 10 März 2023 19:57)
Amen!