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Und wenn es Krebs ist? Die Krankheit und die Früherkennung

Hinweis: Diesen Artikel habe ich im März 2020 zunächst auf www.sat1regional.de veröffentlicht.

 

Müde stehe ich im Bus, den Kopf an die Fensterscheibe gelehnt und die Augen geschlossen. Draußen ist es schon dunkel. Wir haben Ende September und es war ein langer Arbeitstag. In meiner Jackentasche vibriert mein Handy. Umständlich fische ich es daraus hervor. Nummer unterdrückt. Ich gehe ran:

 

„Hallo Frau Eisele. Frau Dr. K hier aus der Frauenarztpraxis B. und K.“

 

„Oh, hallo“, antworte ich verdutzt, denn mit einem Anruf meiner Frauenärztin hatte ich nicht gerechnet. Erst recht nicht so spät am Abend.

 

„Frau Eisele, es geht um ihre letzte Untersuchung bei uns.“

 

„Okay?“, frage ich zögernd, nicht sicher, ob ich überhaupt hören will, was sie mir zu sagen hat. „Ich muss Ihnen sagen, dass Ihr Abstrich beim letzten Mal auffällig war. Das muss nichts Schlimmes bedeuten. Kann es aber. Ihr Pap-Wert bei diesem Abstrich lag bei IIID. Das ist ein auffälliger Wert, den wir beobachten müssen.“

 

„Okay“, antworte ich wieder, ohne wirklich zu verstehen, was meine Ärztin mir gerade sagt. Sie scheint die Verunsicherung zu spüren und erklärt: „Anhand des Pap-Wertes können wir feststellen, ob Sie mit HPV, Humanen Papillomaviren, infiziert sind. Die meisten Frauen infizieren sich im Laufe ihres Lebens damit. Es handelt sich um eine reine Oberflächeninfektion, die ganz einfach wieder ausheilen kann. Im besten Fall merken Sie gar nichts davon. Allerdings kann sie sich auch zu Gebärmutterhalskrebs entwickeln.“

 

„Hat sie Krebs gesagt?“, ruft es laut in meinem Kopf. Der Bus hält. Ich steige aus.„Was wir jetzt machen ist Folgendes: Sie lassen sich einen Termin für in drei Wochen geben. Dann kontrollieren wir noch einmal ihren Wert, wenn er bis dahin zurückgegangen ist, ist alles gut. Falls nicht oder falls er sich verschlechtert hat, müssen wir uns das befallene Gewebe genauer ansehen. Ich weiß, die Nachricht ist nicht schön, aber sie ist alltäglich. Machen Sie sich keine Gedanken und tun Sie mir den Gefallen und recherchieren nicht im Internet, denn dann haben Sie sicher Krebs im Endstadium.“

 

Wir legen auf. Ich laufe eine Weile durch den für Hamburg typischen Nieselregen und stelle fest, dass ich an der falschen Haltestelle ausgestiegen und anschließend den Weg in die falsche Richtung eingeschlagen habe. Mein Kopf raucht.

Habe ich Krebs?

 

Die Veränderung des Gewebes hin zu Krebs ist ein schrittweiser Prozess, der sich über Jahre hinziehen kann und in der Regel über verschiedene Krebsvorstufen verläuft. Nach Angaben des Robert Koch-Instituts erkranken in Deutschland jedes Jahr etwa 6.250 Frauen und 1.600 Männer aufgrund von HPV an Krebs.

 

Lag der Wert bei meinem ersten Pap-Test noch bei IIID, war er bei meinem zweiten Test bereits auf IVa angestiegen. Für mich bedeutete das weitere Untersuchungen. Diesmal in der Dysplasiesprechstunde der Uniklinik Eppendorf. Dysplasie, das heißt einfach „Gewebeveränderung“. Solche zu erkennen, darauf sind die Ärztinnen und Ärzte hier spezialisiert. Eine Kolposkopie, eine Scheidenspiegelung, wurde durchgeführt. Dafür wird eine essighaltige Lösung auf die betroffene Stelle am Gebärmutterhals aufgetragen. Das angegriffene Gewebe reagiert und wird so für den Arzt unter einem Mikroskop sichtbar.

 

Der nächste Schritt war eine Biopsie, also eine punktuelle Entnahme des Gewebes, zur genauen Untersuchung im Labor. Mein Pap-Wert lag nun bei IVb, einer unmittelbaren Krebsvorstufe.

 

Letztlich musste ein operativer Eingriff, eine Konisation, vorgenommen werden, bei der das betroffene Gewebe am Gebärmutterhals kegelförmig herausgeschnitten wird. Laut dem schleswig-holsteinischen Gesundheitsministerium werden im Jahresdurchschnitt bei Frauen über 56.000 operative Eingriffe am Gebärmutterhals durchgeführt, um HPV-bedingte Krebserkrankungen zu verhindern oder zu behandeln. Das entfernte Gewebe wird in einem speziellen Labor von Pathologen untersucht, um festzustellen, ob wirklich alles befallene Gewebe entfernt wurde und wie weit sich der Krebs oder die Vorstufe entwickelt haben. Vom Anruf meiner Gynäkologin bis zur Konisation vergingen nur sieben Monate. Das Schlimmste war jedes Mal wieder das Warten zwischen den einzelnen Untersuchungen. Drei oder vier Wochen können unerträglich lange erscheinen.

 

War es Krebs oder doch „nur“ eine unmittelbare Vorstufe?

 

Als endlich der langersehnte Brief mit meinen Ergebnissen kam, trug ich ihn fast den ganzen Tag mit mir herum, ohne den Umschlag zu öffnen. Was, wenn es Krebs war und nicht alles entfernt werden konnte? Was, wenn ich dieses nicht richtig greifbare Ding, was mich von innen heraus aufzufressen drohte, noch immer in meinem Körper trug? Am späten Nachmittag hielt ich es nicht mehr aus. Mit einem Kaffee gewappnet, suchte ich mir ein ruhiges Plätzchen auf der Firmenterrasse, den braunen Umschlag in meinen Händen. Ich öffnete ihn vorsichtig, zog meinen Bericht heraus und las. Ein Mal, zwei Mal, ein drittes Mal. In wesentlich komplexeren Worten stand dort: Es ist kein befallenes Gewebe mehr da. Es wurde alles entfernt.

Ich hatte einen unüblich schnellen Verlauf. Bis aus einer Krebsvorstufe wirklich Krebs wird, vergehen meist mehrere Jahre. Aber ich hatte auch Glück, denn der Krebs hatte nicht gestreut und heute gelte ich als geheilt. Mich hat die Früherkennung gerettet.

 

Seit 2020 gibt es ein neues Programm zur Gebärmutterhalskrebs-Früherkennung

 

In meinem Freundes- und Bekanntenkreis erinnere ich immer wieder alle Frauen daran, regelmäßig, also ein Mal im Jahr, zur Vorsorge bei der Gynäkologin/ dem Gynäkologen zu gehen. Doch das Programm zur Gebärmutterhalskrebs-Früherkennung wurde zu 2020 angepasst. Sofort fällt mir auf, das Frauen ab dem 35. Lebensjahr nur noch alle drei Jahre zur Früherkennung zugelassen sind. Das macht mich stutzig, erhöht sich doch das Risiko für Frauen ab 35 an Gebärmutterhalskrebs zu erkranken.

Außerdem soll zusätzlich zum Pap-Abstrich nun ein HPV-Test bei Frauen ab 35 durchgeführt werden. Für Frauen von 20 bis 35 bleibt alles beim Alten. Als diejenige, die so sehr von dem bisherigen System profitiert hat, lassen mich die Neuerungen ratlos zurück. Also frage ich nach. Und zwar bei Prof. Dr. med. Linn Wölber, Oberärztin der Klinik für Gynäkologie und Leiterin der Dysplasiesprechstunde im UKE in Hamburg.

 

Sie erklärt mir, dass der bisherige, jährliche Abstrich vom Gebärmutterhals auf Zellauffälligkeiten, also der Pap-Test besonders anfällig für Faktoren wie hormonelle oder entzündliche Prozesse ist, die beispielsweise auftreten, wenn eine Frau kurz vor dem Test ihre Periode oder Sex hatte. 

 

Deshalb der zusätzliche HPV-Test bei Frauen, die aufgrund ihres Alters zur Risikogruppe zählen. „Wenn der HPV-Test zum Zeitpunkt Null negativ ist, dann liegt das Risiko an einer Krebsvorstufe oder an Krebs des Gebärmutterhalses zu erkranken innerhalb der nächsten fünf Jahre bei unter drei Prozent“, erklärt die Leiterin der Dysplasieeinheit, wodurch deutlich wird, weshalb die Vorsorgeuntersuchung nur alle drei Jahre nötig scheint.

 

Warum aber bleibt für Frauen von 20 bis 35 dann das bisherige Verfahren bestehen? Warum wendet man den Test nicht auch bei dieser Gruppe an?

 

Der Hamburger Landesvorsitzende des Bundesverbandes der Frauenärzte, Dr. med. Wolfgang Cramer, sieht die Neuerungen in der Gebärmutterhalskrebs-Früherkennung unter anderem deshalb sehr kritisch: „Ein Nebeneffekt des HPV-Tests wird sein, dass wir viele Frauen beunruhigen. Aus HPV muss keine Krebsvorstufe entstehen. Meist heilt die Infektion wieder aus aber der Test zeigt an, das HP-Viren im Körper nachweisbar sind und damit verunsichern wir die getesteten Frauen unnötig.“

 

Weiter kritisiert er, dass Frauen ab 35, sollten sie den HPV-Test ablehnen, auch keinen Pap-Abstrich mehr von ihrer Krankenkasse bezahlt bekommen: „Für Frauen, die den Test nicht machen lassen wollen, lehnt die Kassenärztliche Vereinigungen die Zahlung des Pap-Testes ab. Diese Frauen werden dann gar nicht mehr auf HPV getestet. Das ist ein Desaster für die Früherkennung.“

 

Laut Aussage von Frau Dr. Wölber war unsere bisherige Früherkennung im Europäischen Vergleich gar nicht so erfolgreich, wie sie nach außen hin oft dargestellt wird. Das lag aber nicht an der Methode, sondern daran, dass die Frauen nicht zur Untersuchung gingen. Das soll sich durch das neue Einladungsmanagement ändern.

 

Außerdem gibt es Überlegungen, Frauen, die sich nicht bei der Frauenärztin oder dem Frauenarzt testen lassen wollen, einen Selbsttest mitzuschicken: „Damit könnte man eventuell einige dieser Frauen, die nicht zum Arzt gehen möchten abgreifen. Der Selbsttest ist fast genauso gut wie der genommene Abstrich beim Frauenarzt. Das könnte eine weitere Möglichkeit sein, diese Frauen zu motivieren. In Holland wird das schon so gemacht.“ Ob und wann dieser Selbsttest in Deutschland kommt, ist noch nicht sicher.

Aufklärung ist das Wichtigste

 

Wie gut ist man über HPV oder die Entstehung von Gebärmutterhalskrebs bei uns informiert, bevor man damit in Berührung kommt? Meiner Erfahrung nach überhaupt nicht. Dies bestätigt mir auch die Gynäkologin: „Das ist nicht Teil des Sexualkundeunterrichts, anders als andere sexuell übertragbare Krankheiten. Die Aufklärung obliegt aktuell einzig und allein den Gynäkologen.“ Auch ein Grund, weshalb wenige Frauen und Männer gegen HPV geimpft sind. „Die Impfrate bei Frauen liegt aktuell bei 38 Prozent. Bei Männern haben wir noch keine gesicherten Zahlen. Aber es sind viel zu wenige. Ich bin unbedingt dafür, Frauen in jedem Lebensalter zu impfen beziehungsweise, ihnen die Impfung kostenlos anzubieten“, erklärt Dr. Wolfgang Cramer.

 

Liebe Leserinnen, ihr könnt und solltet dennoch einmal jährlich zur Krebsvorsorge bei eurem Frauenarzt gehen. Auch wenn kein jährlicher Abstrich mehr bei Frauen ab 35 Jahren gemacht wird, so kann der Gynäkologe Auffälligkeiten auch durch das innere und äußere Abtasten der Genitalien finden.

Was genau die Neuerungen bringen, wird sich erst in den nächsten Jahren zeigen.

 

Das vollständige Interview sowie anschauliche Grafiken und Statistiken findet ihr unter folgendem Link: https://www.sat1regional.de/ich-hatte-gebaermutterhalskrebs-meine-rettung-war-die-frueherkennung/

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Kommentare: 1
  • #1

    Marina (Montag, 21 März 2022 16:36)

    In meinem Umfeld haben auch viele Freundinnen HPV. Auch ein guter Freund von mir. Davon sind sehr viele Menschen betroffen, aber es wird einfach nicht darüber gesprochen. Du solltest deine Texte an Magazine schicken, sie sind so ehrlich.

    Liebe Grüße
    Marina

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